Der Name Robert Stroud ist untrennbar mit dem Bild eines liebevollen Vogelliebhabers verbunden, der, trotz seiner Inhaftierung in einem der berüchtigtsten Gefängnisse der Welt, eine Oase der Fürsorge und des Wissens schuf. Doch die Geschichte des sogenannten "Birdman of Alcatraz" ist weitaus komplexer und kontroverser, als die romantisierte Hollywood-Version es vermuten lässt. Dieser Artikel beleuchtet das Leben von Robert Stroud, seine Verbrechen, seine Zeit im Gefängnis und die Wahrheit hinter der Legende des "Birdman".
Dieser Artikel richtet sich an Leser, die sich für Kriminalgeschichte, Strafvollzug und die oft verzerrte Darstellung von historischen Figuren interessieren. Wir werden versuchen, ein differenziertes Bild von Robert Stroud zu zeichnen, jenseits der üblichen Klischees.
Die dunkle Vergangenheit: Vor Alcatraz
Robert Franklin Stroud wurde am 28. Januar 1890 in Seattle, Washington, geboren. Seine Jugend war geprägt von Armut und einem schwierigen Verhältnis zu seiner Mutter. Im Alter von 18 Jahren verließ er sein Zuhause und begann ein Leben auf der Straße. Diese Periode seines Lebens war von Gewalt und Kriminalität geprägt.
Seine Verbrechen eskalierten im Januar 1909, als er in Juneau, Alaska, einen Barkeeper tötete, der sich geweigert hatte, eine Prostituierte zu bezahlen, mit der Stroud eine Beziehung hatte. Er wurde wegen Totschlags verurteilt und zu 12 Jahren Haft im Bundesgefängnis McNeil Island verurteilt.
Doch auch im Gefängnis zeigte Stroud kein Zeichen von Reue oder Besserung. Seine Aggressivität führte zu zahlreichen Auseinandersetzungen mit anderen Gefangenen und dem Personal. Im Jahr 1916, während seiner Haftzeit im Leavenworth Federal Penitentiary, tötete er einen Gefängniswärter, Clarence von Walker, mit einem Messer, weil dieser ihm bestimmte Gefängnisbesuche verweigerte. Dieser Mord veränderte sein Leben für immer.
Die Strafe für den Mord an von Walker war der Tod durch den Strang. Nach mehreren Berufungen wurde die Strafe jedoch in lebenslange Haft umgewandelt, die er in Einzelhaft verbringen sollte.
Der Mythos des "Birdman": Leavenworth
Es ist wichtig zu betonen: Stroud wurde *nicht* in Alcatraz zum "Birdman". Sein Interesse an Vögeln entwickelte sich im Leavenworth Federal Penitentiary in Kansas.
Im Jahr 1920, während seiner Zeit in Leavenworth, fand Stroud drei verletzte Spatzen im Gefängnishof. Er bat um Erlaubnis, die Vögel aufzuziehen, und die Gefängnisleitung stimmte widerwillig zu. Dies war der Beginn seiner ungewöhnlichen Karriere als Ornithologe.
- Er begann, sich intensiv mit Vögeln zu beschäftigen: Er las alles, was er über Vögel finden konnte, und entwickelte sich zu einem Experten auf diesem Gebiet.
- Er züchtete Vögel: In seiner Zelle züchtete er Kanarienvögel, Finken und Spatzen.
- Er forschte und veröffentlichte: Stroud entdeckte und heilte Vogelkrankheiten und veröffentlichte zwei Bücher über Vogelerkrankungen und -pflege: "Diseases of Canaries" (1933) und "Stroud's Digest on Bird Diseases" (1943). Diese Bücher machten ihn in der Welt der Ornithologie bekannt.
Es ist wichtig anzumerken, dass Strouds "Labor" alles andere als idyllisch war. Seine Zelle war klein, schmutzig und beengt. Trotz dieser widrigen Umstände gelang es ihm, sein Wissen zu erweitern und einen Ruf als Experte aufzubauen.
Alcatraz: Das Ende der Vogelzucht
Im Jahr 1942 wurde Robert Stroud nach Alcatraz verlegt. Die Gefängnisleitung unter der Leitung von Warden James A. Johnston war strikt gegen die Vogelzucht und andere Hobbys, die von Gefangenen in Leavenworth erlaubt waren. Bei seiner Ankunft in Alcatraz wurden Strouds Vögel und seine gesamte ornithologische Ausrüstung beschlagnahmt.
In Alcatraz war Stroud nicht mehr der "Birdman". Er verbrachte die nächsten 17 Jahre in Einzelhaft, ohne Kontakt zu Vögeln. Er setzte jedoch seine Studien fort und schrieb eine umfangreiche Autobiografie, die jedoch nie veröffentlicht wurde.
Die Bedingungen in Alcatraz waren hart. Stroud hatte wenig Kontakt zu anderen Gefangenen oder dem Personal. Er litt unter Depressionen und Einsamkeit.
Das Vermächtnis: Mythos und Realität
Robert Stroud starb am 21. November 1963 im Alter von 73 Jahren in einem Krankenhaus in Kalifornien. Er hatte mehr als 50 Jahre seines Lebens im Gefängnis verbracht, davon die meiste Zeit in Einzelhaft.
Die Legende des "Birdman of Alcatraz" wurde durch den gleichnamigen Film aus dem Jahr 1962 mit Burt Lancaster in der Hauptrolle populär. Der Film porträtierte Stroud als einen sanften, missverstandenen Mann, der durch seine Liebe zu Vögeln Erlösung fand. Diese Darstellung war jedoch stark romantisiert und entsprach nicht der Realität.
Was ist die Wahrheit über Robert Stroud?
- Er war ein Gewaltverbrecher: Stroud beging schwere Verbrechen, darunter Mord. Er war kein unschuldiges Opfer des Justizsystems.
- Er war kein Heiliger: Obwohl er sich mit Vögeln beschäftigte und Fachwissen erwarb, war er kein gütiger und friedlicher Mann.
- Der Mythos überstrahlt die Realität: Der Film und die populäre Vorstellung von Stroud haben die dunkle Seite seiner Persönlichkeit und seine gewalttätige Vergangenheit weitgehend ignoriert.
Robert Stroud war eine komplexe und widersprüchliche Figur. Er war ein Mörder, aber auch ein brillanter Ornithologe. Er war ein Gefangener, der in der Isolation eine Form von Freiheit fand. Seine Geschichte ist eine Mahnung, dass die Realität oft viel komplizierter ist als die Legende.
Es ist wichtig, sich an die Opfer seiner Gewalt zu erinnern und die Romantisierung von Kriminellen zu vermeiden. Gleichzeitig kann man anerkennen, dass selbst in den dunkelsten Umständen der menschliche Geist in der Lage ist, Wissen zu suchen und Leidenschaft zu entwickeln.
Robert Strouds Geschichte ist eine faszinierende und beunruhigende Erinnerung an die Komplexität der menschlichen Natur und die Macht der Erzählung.